LIVE IN YOUR HEAD war das Motto am Cover des ungewöhnlichen Katalogs „When Attitudes Become Form. Works – Concepts – Processes – Situations – Information“
von Harald Szeemanns legendärer Ausstellung 1969. Der junge Ausstellungsmacher und Urvater meiner Zunft entwickelte aus diesem Konzept auch
die Doucmenta 5 – erstmals keine retrospektive Kunstausstellung in Form von Werken. „Nicht mehr das Hauptmerk heutiger Kunst, die Gestaltung des Raumes,
sondern die Tätigkeit des Menschen, des Künstlers ist Hauptthema und Inhalt. Von daher ist auch der Titel (ein Satz und kein Schlagwort) der Ausstellung zu verstehen: noch nie
wurde die innere Haltung des Künstlers so direkt zum Werk.“ 1 Kunst ist immer eine Form von Haltung, und auch die heurige Ausstellung von Studierenden und
AbsolventInnen soll sich nicht in der Präsentation von jurierten Einzelwerken erschöpfen, sondern die 37 „Positionen“ – KünstlerInnen, Wissenschaftler-
Innen, aber auch Gruppen – ins Zentrum rücken und breiter vorstellen. In der Kommunikation wird dieses Konzept von der Agentur Lichtschimmer
unterstützt, die lustvoll die Kopiegraphie der 1980er Jahre aufnehmen und Portraits der ausstellenden Persönlichkeiten zum zentralen Motiv für Werbung,
Katalog und Leitsystem machen. Es geht einerseits um die Stärkung der Identität nach Innen und andererseits darum, das Projekt über eine interne
Leistungsschau hinaus auch außen hin zu öffnen -> kunst linz.
Der Ort ist zum dritten und letzten Mal die Großbetriebsprüfung, bevor sie umgebaut wird. BestOff, gegründet 2004 von der damaligen Vizerektorin und
Professorin für Malerei und Graphik Ursula Hübner, hat als Format und Aushängeschild der Kunstuniversität nach unterschiedlichen Varianten, u. a.
in Linzer Kunstinstitutionen, seine Form gefunden. Die externen KuratorInnen, allesamt AbsolventInnen der Bildungsstätte, treffen inzwischen abseits
der Studienhierarchie eine Auswahl der „Besten“, folgen der Doktrin des Titels diese „raus“ zu bringen und loten in der Ausstellung das Potential ehemaliger
oder zukünftiger Räume der Kunstuniversität aus. Neben der Künstlerorientierung steht der Untertitel „Ausstellung – Party – Performance“ für
eine Programmatik, die in den Folgejahren das etablierte Format erweitern könnte.
Eine Auswahl der besten Köpfe aus mehr als 250 Einreichungen von Studierenden und AbsolventInnen ist eine große Herausforderung, die – wie bei
Thomas Edlinger, Radiomacher, Kurator und Leiter des donaufestival in Krems – nur Dank der breiten Kompetenz der Jury in Kunstproduktion, Rezeption
und Theorie zu stemmen war. Hildegard Fraueneder, Leiterin der „Galerie 5020“ und Lehrbeauftragte am Mozarteum in Salzburg, Alexandra Grausam,
Kuratorin von „das weisse haus“ in Wien und Andrei Siclodi, Direktor des „Künstlerhaus Büchsenhausen“ mit seinem „Internationalen Fellowship-Programm für
Kunst und Theorie“ in Innsbruck stehen aber auch für Kunstinstitutionen und erste Adressen, bei denen sich junge KünstlerInnen direkt bewerben können.
Auf die erstaunliche Breite der Einreichungen hin – nicht nur aus der Bildenden Kunst sondern genauso aus den Lehrämtern, der visuellen Gestaltung,
den Raum- und Designstrategien und aus den Zeitbasierte Medien, Interface Culture und den Theoriestudien – wurden die eingereichten Arbeiten rein
nach ihrem eigenen Anspruch – als Kunst, Gestaltung, oder auch Publikation, wissenschaftliche Arbeit – beurteilt. Die Felder und die Kunstrichtungen
mischen sich, Kunst wird offensichtlich über die Disziplinen hinweg gelehrt und produziert.
„Immer mehr neigen Ausstellungen dazu, nicht mehr Ausstellungen von Kunstwerken zu sein, sondern sich selbst als Kunstwerk auszustellen.“2 war der Vorwurf von Daniel
Buren an Harald Szeemanns Documenta 5, 1972, die Werke wie Farbtupfer eines Bildes einzusetzen und alles dem Konzept des Kurator-Künstlers unterzuordnen.
So sehr ich den Künstler als Theoretiker und kämpferischen Geist schätze, so wenig teile ich hier seine Meinung. Im Gegensatz zu Charles Esche
und Vasif Kortun, die bei ihrer Istanbul Biennale 2005 zum Verhältnis von Kuratoren zu KünstlerInnen meinten, im besten Fall sind Künstler „friendly
enemies“ (freundliche Feinde) – versuchte Szeeman „seine“ KünstlerInnen umfassend zu verstehen. Er ging ein geradezu symbiotisches Verhältnis mit
ihnen ein und hat sie Kraft seiner Autorität zum Teil auch im Kunstbetrieb „durchgesetzt“.
„It is all about relation“ brachte ein befreundeter Kurator seine Haltung auf den Punkt: Die kuratorische Arbeit bewegt sich in der Beziehung zum Künstler,
Raum und Werk, eben „curare“ – sich kümmern, sorgen, pflegen, verwalten aber auch behandeln. Eine Ausstellung entsteht im gemeinsamen Tun.
KuratorInnen und KünstlerInnen gehen eine Allianz ein und können und sollen sich zwischen den Polen Auftragsarbeit und künstlerischer Autonomie
reiben. In der Reibung entsteht produktive Energie (Theaster Gates), und im Sprechen und Tun „Raum“ (Hannah Arendt).
Mit der Verschiebung vom Werk zum Projekt und der Entwicklung einer
klar identifizierbaren Arbeitsweise seit den 1970er Jahren erscheint es
mir auch heute noch sinnvoll die Persönlichkeiten zu fördern, aber auch
herauszufordern. Gerade die Selbstrepräsentation ist für Junge eine große
Anforderung, um sich im Kunstsystem zu etablieren. Auch wissen wir
heute, dass man sich nicht hinter den Werken „verstecken“ kann, zumal
die Kunstwerke nicht für sich sprechen, sondern vermittelt werden müssen.
Basierend auf Workshops sind daher Artist Statements für den Katalog
und begleitende Portfolios für die Ausstellung entstanden. Über die Einzelpräsentationen
hinaus stimmen in „öffentlicheren“, verbindenden Ausstellungsbereichen
zentrale Arbeiten die Tonalität der Ausstellung: Während
Felix Sturm mit einem dem öffentlichen Verkehr entlehnten Regulierungssystem
eine Brücke in den Innenraum schlägt, empfängt Rico Hentschel
mit der Szenographie der Eingangstiege, Katharina Gruzeis Szenarien des
„Zentralmuseum des Großen Vaterländischen Krieges“ bilden einen Einund
Ausstieg in die Solo-Räume, ihre „Unknown Space Ladies“ bespielen
die Fassade des Brückenkopfgebäudes und Lukas Marxt prägt mit seiner
Videoarbeit eine Zone atmosphärisch.
Kunstproduktion beruht immer auf einer gemischten Autorenschaft. Auch
wenn Einzelnamen vorne stehen, entstehen Arbeiten (bis auf wenige autonome
Werke) fast NIE alleine, sondern meist MIT anderen. In diesem Sinn
möchte ich mich bei dem Team der Ausstellung bedanken: bei Sylvia Leitner
für die Organisation, Franz Bognermayr und Ewald Haider und ihrem Team
für die Umsetzung, Moritz Pisk und Alexander Schwarz von MKKT für ihre
Textproduktion und vor allem Katharina Edlmair und Matthias Tremmel
für ihre kuratorische und produktionsorientierte Assistenz. Mit dem Anspruch
Theorie für die künstlerische Arbeit produktiv zu machen, durfte ich
viele Studierende mit der Sprache des Kunstsystems vertraut machen und
ihre Arbeit als Externe oft über Jahre begleiten. Daher freut es mich nun
umso mehr, dass wir uns nun auch in meiner eigentlichen Profession, im
Medium Ausstellung als Kuratorin – KünstlerIn begegnen dürfen. Nachdem
ich mich der Kunstuniversität Linz seit meiner Tätigkeit im ÖH-Vorsitz
während der Umformung zur Universität, der ersten AbsolventInnenbefragung,
der Gründung des „Forums – Freude und AbsolventInnen“ und als
Lehrbeauftragte sehr verbunden fühle, bedanke ich mich nicht zuletzt sehr
für das Vertrauen, das mir das Rektorat mit der Beauftragung für BestOff
2016 entgegen bringt.
Genoveva Rückert ist Kuratorin am OK Offenes Kulturhaus Oberösterreich und Lehrbeauftragte für Raumtheorie an der Kunstuniversität Linz und selbst Absolventin der Bildnerischen Erziehung und Technik & Design/Werkerziehung, sowie der Kunstgeschichte in Graz. Sie kuratierte zahlreiche internationale Ausstellungen und ist verantwortlich für die Programmentwicklung und die Abteilung für Entwicklung und Vermittlung im.