Hentschel Rico
   Titel der Arbeit Wo hin durch – ein Blick zurück / Flaneur
 
   Abstract
Wo hin durch - ein Blick zurück
Die zweiteilige Arbeit besteht aus einer begehbaren textilen in den Raum hinein modellierten Rauminstallation im Treppenaufgang des Eingangsbereichs mit Ausläufern durch das Treppenauge hindurch in den darüber liegenden Galerieraum und zweitens einem Raummodell incl. fünf abstrakter Raumzeichnungen mit Zeichenkohle (Frottage) auf Karton.

Die begehbare, Raumgrenzen überschreitende und an eine Naturgestalt erinnernde, figurative Installation verwandelt sowohl den Treppenraum als auch den darüber liegenden Galerieraum in einen allegorischen und pluralen Ort der inneren und äußeren Anschauung. In diesem modulierten Betrachtungs- und Erfahrungsraum, wo das kulturelle Erbe und eine fiktive Naturerscheinung zusammen-rutschen, erklingt eine poetische Stimme, die mal leise und mal laut Fragen unserer Wahrnehmungskategorien und ethisch/ soziokulturellen Verantwortung durch und in ein dünnes Gewebe souffliert. Die verrückte Selbstgespräche führende Figur bricht jedoch nur scheinbar durch das Treppenauge hindurch in den Ort hinein, vielmehr fügt sie sich als ein Echo in den Kanon der Raumgestalt und wirft einen Blick und ein Ohr auf sich selbst. Die textile, faltige Struktur reicht und hält ihre Hände offen, um in ihrem Gegenüber Vorstellungen von Nähe und Ferne, von Anfang und Ende und von Innen und Außen in sich überlagernden Kontexten zu berühren.
Auf welcher Stufe oder Empore der/ die Betrachter/in wie auch immer steht oder gestanden ist, der Blick zurück verbindet die aus vielen Richtungen und in unterschiedlicher Geschwindigkeit fließenden Fäden zu einer Bühne, auf der jede/r schon lang Autor/in ist. Ob und in welcher Freiheit sich der Bewusstseinsraum weiter formt, kann die Installation nicht sagen!

Flaneur:
Raum, hm, Gestöber aus Kristallen, ein Spektrum, Ups! (Rico Hentschel).
Das Bild der Verdichtung in Form der maximal 17 Silben eines klassischen Haikus an Stelle einer Beschreibung vermittelt die Suche nach Zuspitzung, Präzision, aber auch Transzendenz in Rico Hentschels Arbeiten. Die Vorstellungskraft, aber auch die Fähigkeit viele Bezüge zu einer offenen, feindeutigen „Situation“ und Szenographie zusammenzufügen, sind bestimmende Elemente in seinem skulpturalen, transmedialen Ansatz. „Hm“ – ein Nachdenken über das Wesen des Raums, Möglichkeiten ihn zu modellieren und ästhetisch zu inszenieren, trifft auch die Setzung an der Eingangstreppe. Das Gestöber von Kristallen verweist in der klassischen Form des japanischen Gedichtes auf eine Jahreszeit und Stimmung, schafft aber auch ein poetisches Vorstellungsbild. Kristalle stehen für komplexe Konstruktionen, eine Ordnung, einen innewohnenden Bauplan – eine Architektur. Der Raum ist kein festes Gefüge, sondern entsteht erst im Wandel („Gestöber“). In Hannah Arendts Sinn entwickelt sich Raum zwischen Menschen im Handeln und Sprechen. Ein Spektrum verweist semantisch auf eine Erscheinung, einen Geist – vielleicht eine Analogie zum abgehängten raumgreifenden Gewebe. „Ups“ vermittelt eine überraschende Erkenntnis, eine unmittelbare Erfahrung. In seinen Arbeiten schafft er Situationen, die im Dazwischen, im Wechselspiel zwischen innerem und äußerem Raum und in der Bewegung und Nutzung einen Handlungsraum[1] definieren und so ihre transformatorische Kraft entfalten. (Genoveva Rückert)

[1] Hannah Arendt, Vita Activa oder vom tätigen Leben, München und Zürich: Piper 2002 (orig. engl: The Human Condition 1958, dt: 1967), bes. S. 213–234.
   
   
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